UniHD


Insulinom


Definition
Bei Insulinomen handelt sich um Tumoren der Langerhans-Inselzellen (B-Zellen). Sie kommen nahezu ausschließlich im Pankreas vor und sind mit 40-70% die häufigsten endokrinen Pankreastumoren, gefolgt von Gastrinomen, Glucagonomen, Vipomen und anderen seltenen neuroendokrinen Tumoren. Allen gemeinsam ist das neuroendokrine Zellbild.

Epidemiologie
Die Inzidenz liegt bei 2-4:1000000 pro Jahr. Die Tumoren treten in allen Altersgruppen auf. Die höchste Inzidenz findet sich jedoch zwischen dem 40-60 Lebensjahr. Ca. 10% der Patienten sind jünger als 20 Jahre bei unter 15-jährigen sind die Tumoren jedoch selten. Frauen sind mit 1,5:1 etwas mehr betroffen als Männer. Maligne Insulinome finden sich in 2,5-18% der Fälle. Hier sind ältere Männer geringfügig häufger betroffen als Frauen.

Morphologie
Die Tumoren sind in mehr als 85% der Fälle benigne und treten ebenso häufig solitär auf. 6-13% treten mulipel in Erscheinung und 5% der Insulinome treten im Rahmen einer MEN I auf. Maligne Insulinome metastasieren primär in das peripankreatische Fettgewebe, in die umliegenden Organe wie Duodenum und Milz. Die ersten Metastasen finden sich für gewöhlich in den Lymphknoten und in der Leber.

Makroskopie
Makroskopisch finden sich in der Regel gut begrenzte solitäre Tumoren, die meist < 2 cm sind (in 75% der Fälle), wenige Gramm wiegen (< 2g) und überall im Pankreas lokalisiert sein können. Bevorzugte Lokalisationen umfassen den Pankreaskopf und -schwanz. Insulinome die im Rahmen einer MEN 1 entstehen, sind für gewöhnlich größer als 1cm.
Bedingt durch den Gefäßreichtum imponieren oberflächliche Tumoren als rot-braune oder blau-schwarze Resistenzen. Von der Konsistenz sind sie weicher als das umgebende Pankreasgewebe. Nekrosen und zystische Veränderungen sind selten und finden sich nur in besonders großen Tumoren.
Gelegentlich hängen Insulinome dem Pankreas an. Extrapankreatische Lokalisationen sind extrem selten (1,8%) und prinzipiell dort zu vermuten, wo auch heterotopes Pankreasgewebe gefunden werden kann. (z.B.: Magenwand, Duodenum, Jejunum, Meckel-Divertikel und Ileum, seltener in der Leber, der Gallenblase, den ableitenden Gallenwegen und der Papilla Vateri)

Mikroskopie
Histologisch handelt es sich um monomorphe Tumorzellen mit einem feingranulären Zytoplasma deren Stroma meist hyalinisiert ist. Zellen mit großen pleomorphen Kernen sind selten. Man unterscheidet vier verschiedene Wachstumsmuster. Die Zellen können solide, trabekulär und pseudoglandulär (azinär/tubulär) angeordnet sein oder eine Mischung aller Wachstumsmuster aufzeigen. Größere Tumoren können von einer Kapsel umgeben sein, die jedoch nicht immer vollständig ist. Bei kleineren Tumoren kann eine Kapsel fehlen.
3-5% der Fälle enthalten die Zellen ausgedehnte Amyloidablagerungen, wobei es sich um Präzipationen des mit Insulin kosezernierten Inselzell-Amyloid-Polypeptid (IAPP) auch Amylin genannt handelt. Selten finden sich Kalzifikationen und intrazytoplasmatisches Pigment.

Die histologische Beurteilung ist oft schwierig. Trotz Malignitätszeichen (Mitosen, unvollständige Kapsel, Pleomorphie, Gefäßeinbruch) kann klinisch ein gutartiger Verlauf ohne Metastasierung bestehen. Diese Formen rezidivieren nach der Exstirpation häufig.

Immunhistochemie
Die immunhistochemische Darstellung der Hormone erlaubt eine funktionell morphologische Einteilung dieser Tumoren. Es können in allen Insulinomen Insulin und Proinsulin nachgewiesen werden. Die Intensität und Ausdehnung der Immunreaktion korreliert jedoch nicht mit dem im Blut zirkulierenden Insulinspiegel. 50% der Tumoren sind monohormal, in den anderen Fällen, und dazu gehören die meisten malignen Insulinome, finden sich außer Insulin auch Glukagon, Pankreatisches Polypeptid und andere Hormone.
Weitere nützliche immunhistochemische Marker zur Klassifikation der Insulinome umfassen MIB-1 (Proliferationsmarker) und CD31 (Darstellung der Angioinvasion). In Fällen, in denen sich immunhistochemisch kein Insulin darstellt, kann mit Hilfe einer in-situ Hybridisierung Insulin-m-RNA identifiziert werden.

Elektronenmikroskopie
Elektronenmikroskopisch finden sich in den Tumorzellen membranbegrenzte neurosekretorische Hormongranula. Schwach granulierte Tumorzellen mit atypischen Granula findet man hingegen meist in malignen Insulinomen.

Symptome
Für die Diagnose ausschlaggebend ist die klinische Symptomatik. Patienten mit einem Insulinom weisen Symptome auf, die einerseits auf Neuroglucopenie und andererseits auf die gegenregulatorische Freisetzung von Katecholaminen als Folge der niedrigen Blutzuckerkonzentrationen zurückzuführen sind.
Wegweisend sind hier die Hypoglykämie (z. B. Heißhunger), vegetative Symptomatik (z.B. Schweißausbrüche, Zittern, Unruhe) und neurologische Symptome (z. B. Sprachstörungen, Bewusstseinsstörungen, Krampfanfälle). Sie treten typischerweise morgens im Nüchternzustand, nach körperlicher Anstrengung oder nach übergangenen Mahlzeiten in Erscheinung.

Insulinome lassen sich klinisch durch die Whipple Trias charakterisieren:

  • Spontanhypoglykämie (v.a. am Morgen mit Blutzuckerspiegel < 45mg/dl bzw. < 3,0mmol/L)
  • Typische Klinik der Hypoglykämie (Tachykardie, Schwitzen, Zittern, Blässe, u.a.)
  • Sofortige Besserung nach Gabe von Glucose

Diagnose
Fastentest: Unter stationärer Überwachung erfolgt eine Nahrungskarenz über 48±72 Std mit Bestimmung des Blutzuckers, Plasmainsulins und C-Peptids alle 6 h bzw. öfter bei Hypoglykämie-Symptomen. Der Test wird bei symptomatischer Hypoglykämie beendet und sofort die Gabe von Glukose i.v. erwogen, um neurologische Schäden zu vermeiden. Typisch für das Insulinom ist die fehlende physiologische Insulinsuppression bei Abfall des BZ im Hungerverusch. Der Insulin-/Glukose-Quotient fällt bei Gesunden ab, und steigt bei Insulionmpatienten an >0,3. Die Bestimmung des C-Peptids (= Maß für die endogene Insulinproduktion) dient dem Ausschluss einer Hypoglycaemia factitia durch exogene Insulinzufuhr. Beweisend für ein Insulinom sind ein Blutzucker < 45 mg/dl, Insulin > 10 mU/ml, C-Peptid > 1,5 ng/ml. Weiterhin kann die Bestimmung von Sulfonylharnstoff im Serum oder im Urin zum Ausschluss eines Sulfonylharnstoffmissbrauchs indiziert sein.

Insulinsuppressionstest: Keine Senkung des C-Peptidspiegels nach Gabe von 0,15 IE Altinsulin/kg/KG. Es erfolgt keine Suppression der körpereigenen Insulinproduktion bei exogener Zufuhr.

Bildgebende Diagnostik: Sonografie der Bauchspeicheldrüse (in bis zu 65% der Fälle lokalisierbar), Spiral-CT mit KM-Bolus in Dünnschichttechnik (80%tige Trefferquote, gute Durchblutung der Tumoren), ggf. eine selektive Angiografie/DSA (Zöliako-Mesenterikografie; höchste Aussagekraft, 80-90% Trefferquote), intraoperative Sonografie (90-100% Trefferquote) sowie eine selektive Insulinbestimmung bei perkutaner, transhepatischer Portografie (= Blutentnahme aus Milzvene, Pfortader und ihren Seitenästen).

Weitere Diagnostik: SASI-Test (Selektive arterielle Sekretinjektion): Arterielle Stimulation über pankreatische Äste des Truncus coeliacus mit Kalzium und lebervenöse Blutentnahme mit Bestimmung des Insulinspiegels (Sensitivität 90 %). Indikation: Erfolglose Voroperation oder fehlender Nachweis in Sono, CT oder Angiografie.

Differenzialdiagnosen

  • Hypoglycaemia factitia
  • Anfallsleiden
  • Frühstadien eines Diabetes mellitus.
  • Spätdumping-Syndrom
  • Hypoyphysenvorderlappen- und Nebennierenrindeninsuffizienz
  • Kachexie, schwere Malnutrition, Anorexia nervosa

Therapie
Eine therapeutische Maßnahme umfasst die Enucleation des Tumors oder in Abhängigkeit von Größe und Lage die chirurgische Resektion. Problematisch ist die Behandlung von multiplen Tumoren und Inselzellhyperplasie, welche mit einer hohen Rezidivrate belastet sind.
Malignes Insulinom: Partielle Duodenopankreatektomie (Kopfbereich) oder Pankreaslinksresektion (Corpus, Schwanz) mit Lymphadenektomie und Splenektomie.
Alternativ: Tumordebulking, Chemoembolisation und systemische Chemotherapie. Wenn möglich: Metastasenresektion (Leber)
Inoperabler Patient/metastasierendes Insulinom: Therapie mit Diazoxid (Proglicem) oral, ggf. Octreotid (Sandostatin) s.c. oder Lanreotid -> medikamentöse Hemmung der Insulinsekretion. Achtung: diese Medikamente wirken nur bei Insulinomen mit typischen Sekretgranula, nicht hingegen bei agranulären Tumoren ; systemische Chemotherapie mit Streptozotozin und 5-Fluorouracil oder Chemoembolisation von Lebermetastasen (Streptozotozin/Lipiodol).

Prognose
Die meisten Insulinome sind zum Diagnosezeitpunkt benigne. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die meisten Tumoren aufgrund ihrer Symptomatik frühzeitig entdeckt werden. Bei benignen Tumoren führt die Resektion zur Heilung der meisten Patienten. Eine Ausnahme stellen hier jedoch die multiplen Insulinome dar.
Unbehandelt können die rezidivierenden Hypoglykämien zu ZNS-Schäden führen.

Weiterführende Literatur

  1. Klassifikation gastroenteropankreatischer neuroendokriner Tumoren
    Perren A, Schmitt A, Komminoth P, Pavel M. Klassifikation gastroenteropankreatischer neuroendokriner Tumoren. Der Radiologe. 2009 Mar;49(3):198-205.

  2. Pankreatischer Hyperinsulinismus
    Goretzki P, Starke A, Lammers B, Schwarz K, Röher HD. Pankreatischer Hyperinsulinismus - Wandel des Krankheitsbildes mit spezifischen Unterschieden auch bei sporadischen Erkrankungsformen (Eigene Erfahrung an 144 operierten Patienten von 1986-2009).Zentralbl Chir. 2010, 135: 218-25. 2010

  3. Diagnostik hereditärer neuroendokriner gastroenteropankreatischer Tumoren und MEN Typ 1
    Scherübl H, Schaaf L, Raue F, Faiss S, Zeitz M. Hereditäre neuroendokrine gastroenteropankreatische Tumoren und multiple endokrine Neoplasie Typ 1. I. Aktuelle Diagnostik. Dtsch Med Wochenschr. 2004, 129: 630–33

  4. Therapie hereditärer neuroendokriner gastroenteropankreatischer Tumoren und MEN Typ 1
    Scherübl H, Schaaf L, Raue F, Faiss S, Zeitz M. Hereditäre neuroendokrine gastroenteropankreatische Tumoren und multiple endokrine Neoplasie Typ 1. - II. Aktuelle Therapie. Dtsch Med Wochenschr. 2004, 129: 689-92

  5. Tumoren des endokrinen Pankreas
    Klöppel G. Tumoren des endokrinen Pankreas. Pathologe. 2003, 24: 265-71

Bearbeiter: Janina Wolf
Letzte Änderung: 30.07.2012