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Urtikaria


Heterogene Gruppe von Erkrankungen, denen ein charakteristisches Hautreaktionsmuster (Effloreszenzentypus = Urtica) zugrunde liegt.
Klinisch handelt es sich um eine stark juckende, polyätiologische, kutan-vaskuläre Hautreaktion, die durch das schubweise und exanthematische Auftreten lokalisierter oder disseminierter, meist heftig juckender, flüchtiger Erhabenheiten (Urticae: Bestanddauer < 12 Std.) unterschiedlicher Größe, Konfiguration und Anordnung charakterisiert ist und residuenfrei abheilt.
Ggf. sind urtikarielle Hautveränderungen auch durch nicht juckende, tief dermal und/oder subkutan lokalisierte, brennende oder schmerzende ödematöse Schwellungen der Haut/Subkutis ggf. auch der Schleimhäute begleitet (Angioödem), deren Rückbildung bis zu 72 Std. andauert.

Synonym

Nesselsucht; Nesselausschlag; Urticaria

Klinisches Bild

Erhabene, scharf begrenzte, palpable, solitäre oder konfluierende, juckende, weißliche bis rote, auch rote, weißlich umränderte (Halo), flüchtige Erhabenheiten (Urticae). Die Größe der Effloreszenzen kann sehr variabel sein, von stecknadelkopfgroß bis flächenhaft. Überwiegend entwickeln sich Urticae innerhalb weniger Minuten nach Histaminfreisetzung und persistieren in loco < 24 Std.
Der Juckreiz bei der Urtikaria wird als “brennend, stechend oder prickelnd” beschrieben. Er tritt v.a. abends und nachts auf, kann alle Partien des Körpers betreffen, bevorzugt jedoch die Arme (> 80%), Rücken und Beine (70-80%) und den Rumpf. Wichtig: Der Juckreiz wird nie mit einem forcierten Kratzen mit den Fingernägeln (man findet nie kratzinduzierte erosive, blutende Kratzspuren der Haut) beantwortet, sondern mit Reiben oder Kneifen der Haut.
Eine Sonderform der Urtikaria stellt das Histamin-vermittelte Angioödem (s.u. Angioödem, Histamin-vermitteltes) dar, das v.a. an den Augenlidern sowie im Bereich der Lippen, aber auch an anderen Hautpartien auftritt. Seltener sind Zungen- und Glottisödeme. Dauer der Symptomatik meist 1-5 Tage, danach Restitutio ad integrum.
Für die akute und chronische spontane Urtikaria wird zur Bestimmung der Krankheitsaktivität ein einheitliches und einfaches Einteilungssystem, der Urtikaria-Aktivitäts-Score (UAS), empfohlen. Der UAS basiert auf der Beurteilung der charakteristischen Urtikariasymptome Quaddeln und Juckreiz.
Da sich Urtikariasymptome häufig in ihrer Intensität ändern, ist es zur Bestimmung der Gesamtkrankheitsaktivität nützlich, dass die Patienten mittels des UAS die Symptome einige Tage in Folge dokumentieren. Der UAS7, d. h. die Summe der Scores von sieben aufeinanderfolgenden Tagen, ist in der klinischen Praxis zur Bestimmung der Krankheitsaktivität und des Behandlungserfolges bei Patienten mit spontaner Urtikaria geeignet.
Bestimmung der Erkrankungsaktivität bei Patienten mit spontaner Urtikaria mittels Urtikaria-Aktivitäts-Score (UAS) Score*: Quaddeln (Q): Juckreiz:
0 0=keine 0=kein
1 1=leicht (< 20 Q/24 h) 1=leicht (vorhanden, doch nicht störend)
2 2=mittel (20-50 Q/24 h) 2=mittel (störend, aber keine wesentliche Beeinflussung der täglichen Aktivitäten oder des Schlafs)
3 3=stark (> 50 Q/24 h oder große konfluierende Flächen) 3=stark (schwerer Juckreiz, der die täglichen Aktivitäten oder den Schlaf wesentlich beeinflusst)
*Summe der Scores: 0-6 pro Tag, d.h. 0-42 pro Woche (=UAS7); Angioödeme sollten separat erfasst werden.

Histopathologie

Diagnostische Kriterien

  • Unauffällige Epidermis
  • Interstitielles Ödem im oberen und mittleren Korium
  • perivaskulär betontes gemischtzelliges Infiltrat mit auch interstitiell gelegenen eosinophilen und neutrophilen Granulozyten
  • Neutrophile Granulozyten in den Gefäßlumina

Klinische Differentialdiagnosen:

  • Insektenstiche: akute, 0,2-0,4 cm große, meist multiple, häufig auch gruppierte, seltener einzelne, stark juckende, rote Papel(n). Bei frischen Läsionen ist stets eine zentrale Hämorrhagie nachweisbar.
    Erythema anulare centrifugum: chronisch aktive, zentrifugal und nur mäßig schnell wachsende (nicht innerhalb von Stunden auftretend; Markierungstest), anuläre, feste (Randbereich tastet sich wie ein nasser Wollfaden) Papeln oder Plaques (keine Quaddeln!). Häufig “korneolytische” zarte Schuppung. Wenig oder fehlender Juckreiz!.
    Erythema exsudativum multiforme: kokardenförmiger Aspekt ist meist immer nachweisbar. Keine Quaddeln sondern Plaques, auch Bläschen oder Blasen.
  • Urtikariavaskulitis: klinisch mit der Urtikaria weitgehend identisch. Keine Quaddeln sondern Papeln, die sich nur mäßig schnell verändern (verschwinden nicht innerhalb von Stunden; Markierungstest durchführen). Histologische Klärung (s.u.).
  • Trombidiose: rote, stark juckende, 0,1-0,3 cm große Flecken und Papeln, auch Papulovesikel, hämorrhagische Einstichstellen im Zentrum.
    Merke: Meist an Stellen auftretend, an denen die Kleidung anliegt. Jahreszeit: Spätsommer und Herbst!
  • Zerkariendermatitis: Juckende Papeln an den Invasionsstellen der Larven, wenige Minuten bis zu einer Stunde nach Exposition. Dauer: Etwa 1 Woche (nach Baden in stehenden Gewässern).
    Dermatose, akute febrile neutrophile: AZ ist meist deutlich reduziert! Fieber, Leukozytose mit Neutrophilie! Papeln häufig neben Blasen oder Pusteln (Mischeffloreszenzen), keine Quaddeln!
  • Dermatitis herpetiformis: kleinherdige, streckseitig lokalisierte, rote Papeln oder Flecken, auch kleine Erosionen oder Bläschen. Immer stechender Juckreiz.
  • Granuloma anulare disseminatum: disseminierte, nicht juckende, permanente (nicht flüchtige) rote Flecken oder Plaques; Eigeninfiltrat ist nachweisbar.
  • Pemphigoid, bullöses: initial disseminierte Papeln oder Plaques. Im Vollbild typische, subepitheliale Blasenbildung, meist beugeseitig lokalisiert. Häufig Juckreiz. IF und Serologie sind diagnostisch!
  • Urticaria pigmentosa: meist disseminierte, ortstreue (negativer Markierungstest), 0,1-0,2 cm große, rote oder bräunliche Papeln und Flecken. Der Reibetest ist positiv (nach Reiben der Läsion Rötung oder Quaddelbildung). Juckreiz und Rötung nach warmen Bädern.
  • PUPPP: DD nur bei Schwangerschaft.
    Melkersson-Rosenthal-Syndrom: umschriebene permanente Schwellung, evtl. Spannungsgefühl; Als DD nur bei V.a. Angioödem infrage kommend.
  • Urtikarielle (infektiöse) Exantheme: s.u. DD Exanthem.

Histologische Differentialdiagnosen:

  • Arzneimittelexanthem: Perivaskulär betontes Lymphozyteninfiltrat.
  • Virales Exanthem: Perivaskulär betontes Lymphozyteninfiltrat.
  • Urtikariavaskulitis: Das histologische Entzündungsmuster ist der Urtikaria analog. Unterschiedlich permanente (nicht flüchtige) rote Flecken oder Plaques. Eigeninfiltrat ist nachweisbar.
  • Urtikariavaskulitis: Das histologische Entzündungsmuster ist der Urtikaria analog. Unterschiedlich sind Zeichen der leukozytoklastischen Vaskulitis mit neutrophilen Granulozyten in den geschwollenen Wänden der Venolen. Perivaskulärer Kernstaub als Zeichen der Leukozytoklasie. Markante Erythrozytenextravasate.
  • Bullöses Pemphigoid: In der Initialphase der Blasenbildung sind die histologischen Veränderungen (dermales Ödem, Eosinophilie) sehr ähnlich und nicht sicher zu differenzieren. Verlaufsbiopsien sind notwendig. Abgrenzung durch Immunhistologie ist sicher möglich.
  • Dermatitis herpetiformis: Frühe Läsionen sind reich an eosinophilen Granulozyten. Typisch sind Papillenabszesse. Abgrenzung durch Immunhistologie ist sicher möglich.
  • Akute febrile neutrophile Dermatose: Das sehr markante, diffuse dermale Infiltrat aus neutrophilen Granulozyten schließt eine Urtikaria sicher aus.
  • Erythema anulare centrifugum: Markantes, perivaskuläres Lymphozyteninfiltrat (schließt eine Urtikaria aus), bei 1/3 der Fälle deutliche Eosinophilie. Bei der superfiziellen Form des Erythema anulare centrifugum besteht fokale Spongiose (sicherer Ausschluss der Urtikaria).

Bearbeiter: Brigitte Maag
Letzte Änderung: 13.03.2017